Montag, 22. Juli 1996

Begleittext zum Würzwisch-Zyklus während der Ausstellung 1996

Die Bilder dieser Ausstellung zeigen Pflanzen, denen schützende und heilende Kräfte zugesprochen werden. Von alters her wollten die Menschen diese Kräfte in übermenschlicher Obhut wissen; das heißt: in vorchristlicher Zeit waren sie den Göttern anvertraut, in christlicher Zeit den Heiligen und der Mutter Gottes. Sie wußten, daß die Menschen Unheil mit diesen Kräften stiften könnten (Hexen und Zauberer). In unserer Gegend heißt dieser Kräuterstrauß WÜRZWISCH - in Nieder-Olm, der Heimat des Malers: WERZWISCH. Andere Namen im west- und süddeutschen Sprachgebrauch sind: WEIBÜSCHEL, WÜRZBÜSCHEL, KRUTHENNE, WIEHHENNE, HIMMELFAHRTSSTRAUẞ und MARIENKRÄUTERSTRAUẞ. Eine wichtige Rolle bei der Zusammenstellung des Straußes spielen heilige Zahlen (3 und 7 mit allen Vielfachen bis 99), in Nieder-Olm sind es 33 Pflanzen. (siehe besondere Liste)

Die Zusammensetzung des Straußes richtet sich nach dem Standort u. der Bodenbeschaffenheit: Waldgegend, Wiesenland, Sumpf- u. Heidegebiet, Ackerraine, auch Gartenpflanzen werden genommen. (zum Beispiel in Gonsenheim Zwiebeln und Lauch) Die Leute, besonders in ländlichen Gegenden, bringen heute noch die selbstgepflückten Sträuße am 15. August - Mariä Himmelfahrt - zur Weihe in die Kirche. Sie wollen Glück und Segen sichtbar nach Hause tragen: als Schutz vor Gewittern u. Segen für das ganze Haus - auf dem Speicher aufgehängt, dem Viefutter beigemischt - vorbeugend gegen Krankheiten u. als Hilfe beim Kalben, den Menschen als Mittel gegen jede Art von Gebrechen, den Toten zur ewigen Ruhe. Geweihte Getreidekörner werden unter das Saatgut gemischt. Alles Lebendige, was mit dem Kräuterbüschel berührt wird, bekommt besondere Kraft. Man bereitet aus den geweihten Pflanzen heilbringende Tees u. Salben (Hildegard von Bingen empfiehlt in ihrem Kräuterbuch das Pflücken der Pflanzen bei zunehmendem Mond). Die Mediziner haben wissenschaftlich viele Eigenschaften der Kräuter bestätigt: Lindern, Kühlen, Schweißtreiben, Berauschen, Heilen. Das Volk sieht mancherorts auch heute noch, nicht nur heilkräftige Wirkungen, sondern glaubt, es wohne diesen Pflanzen ein starker Zauber inne - das Aufhängen des Straußes im Haus oder das Beisichtragen bestimmter Pflanzen genügt ihnen schon.



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